A. Einführung
Als das Infektionsgeschehen Mitte März 2020 nicht mehr beherrschbar erschien, markierte ein bundesweiter Lockdown den bisherigen Höhepunkt der Corona-Pandemie. Teilweise auf engen Wohnraum beschränkt, war es nun für einen längeren Zeitraum nicht mehr ohne Weiteres möglich, jederzeit nahe Familienangehörige oder Freunde zu treffen, wie üblich zur Arbeit zu gehen oder durch Freizeitaktivitäten am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Unvermittelt war der gewohnte Alltag einem mehrwöchigen Ausnahmezustand gewichen, der von zahlreichen Reglementierungen bestimmt wurde und etliche Mitbürger schnell an die Grenze ihrer psychischen Belastbarkeit brachte. Trotz der insgesamt hohen Mitwirkungsbereitschaft in der Bevölkerung hätte es für viele Menschen wahrscheinlich dazu beigetragen, sich in dieser aufreibenden und diffusen neuen Realität weniger hilflos und überfordert zu fühlen, wenn bereits damals etwas über die tatsächliche Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen bekannt gewesen wäre.
Als Dr. Bernd Maelicke, Honorarprofessor an der Leuphana Universität Lüneburg und Gründungsdirektor des Deutschen Instituts für Sozialwirtschaft (DISW) und Dr. Stefan Suhling, Leiter des Kriminologischen Dienstes des niedersächsischen Justizvollzugs, vor einigen Jahren die Idee kam, “eine aktuelle Bestandsaufnahme zu den unterschiedlichen und mannigfaltigen Themenbereichen des Strafvollzugs und der mit ihm kooperierenden Organisationen im Prozess der Resozialisierung zu erstellen” (V), konnten sie natürlich nichts von einer zukünftigen Pandemie ahnen. Dennoch widmeten sie den ersten Band der neu begründeten Reihe “Edition Forschung und Entwicklung in der Strafrechtspflege” einer Institution, die die betroffenen Personen in einen ähnlich belastenden Ausnahmezustand versetzen kann: Dem deutschen Strafvollzug – über dessen Wirksamkeit man bislang erstaunlich wenig gesichert weiß. Für die 2018 im Springer-Verlag erschienene Veröffentlichung konnten die beiden Herausgeber weitere 39, durchweg qualifizierte und erfahrene Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen, gewinnen. Mit den aufgegriffenen Themen möchten sie nun für ihre anvisierte Leserschaft, bestehend aus Lehrenden und Studierenden, der mit dem Strafvollzug befassten Disziplinen sowie Praktiker*innen aus Verwaltung, Politik und Medien, erstmalig “das Gefängnis auf den Prüfstand stellen” und, auf diesen Erkenntnissen aufbauend, auch “Veränderungs- und Entwicklungsbedarfe” (XVI) für die Zukunft präsentieren.
B. Aufbau
Neben den einleitenden Aufsätzen der Herausgeber in Teil A ist der Band in fünf weitere Abschnitte gegliedert. Auf einen ebenfalls zwei Beiträge umfassenden Teil B zur aktuellen Entwicklung des Strafvollzugs in Deutschland (49 ff.) folgen mit jeweils acht Aufsätzen die beiden umfangreichsten Teile C und D zu den Themenbereichen einer wirkungsorientierten Vollzugsgestaltung (87 ff.) bzw. zu spezifischen Zielgruppen (263 ff.). Zwei Kapitel widmen sich in Teil E dem Komplex der strategischen Steuerung (455 ff.). Fünf Aufsätze zur Entwicklung des Systems der stationären und ambulanten Resozialisierung in Teil F (499 ff.) runden das Werk ab. Einen Überblick über die behandelten Themengebiete verschafft das dreiseitige Inhaltsverzeichnis, das gemeinsam mit dem Autorenverzeichnis der Einführung (XV ff.) vorangestellt wurde.
C. Ausgewählte Inhalte
Da der Inhalt der 588 Seiten umfassenden Publikation nicht in aller Ausführlichkeit besprochen werden kann, sollen im Folgenden zumindest einige kursorische Einblicke in die insgesamt 27 Aufsätze gegeben werden.
Eingebettet in den Kontext der Auswirkungen des sozialen Wandels sowie der Merkmale erfolgreicher Organisationen erörtert Maelicke in seinem einleitenden Beitrag das Thema “Forschung und Entwicklung als Innovationsstrategie für den Strafvollzug”. Es bestehe “ein dauerhafter und gravierender Innovationsbedarf” (17). Gefordert sei mehr denn je “ein Selbstverständnis aller zuständigen Organisationen, dass Resozialisierung in jedem Einzelfall und als Gesamtsystem nur im optimierten und vernetzten Zusammenwirken aller Akteure erfolgreich bewirkt werden kann” (18).
Wie Suhling in seinem einleitenden Kapitel “Wirkungsforschung und wirkungsorientierte Steuerung im Strafvollzug” (23 ff.) betont, vertrete er, abweichend von Maelicke eine Auffassung, nach der sich Wirkungsforschung nicht ausschließlich am Kriterium der Legalbewährung orientiere. Erforderlich seien für den Strafvollzug vielmehr “‘eigene’ Ziele und Outcomes, die weniger von den anderen Akteuren des Reso-Systems beeinflusst werden” (35). Auch wenn es Anzeichen für eine Besserung der Situation gebe, mangele es bislang an Wirksamkeitsstudien zu Maßnahmen und Praktiken im Strafvollzug (37). Zur Verbesserung der Wirkungsforschung listet er u.a. strukturelle Voraussetzungen auf (38 ff.).
Unter der Abschnittsüberschrift “Aktuelle Entwicklung des Strafvollzugs in Deutschland” steuert Drenkhahn in Teil B ein Kapitel über die “Entwicklung und Prognose der Gefangenenpopulation und ihrer Merkmale” bei (51 ff.). Als Basis rekapituliert sie zunächst sehr ausführlich u.a. deren Größe und Zusammensetzung in den vergangenen Jahrzehnten, bevor drei bereits existierende Prognosemodelle aus Deutschland diskutiert werden. Laut Drenkhahn seien diese für eine gezieltere Vollzugsplanung allerdings “bisher nur eingeschränkt brauchbar” (70).
Arloth und Geiger komplettieren den Abschnitt mit einem Aufsatz zum deutschen Strafvollzug nach der Föderalismusreform (73 ff.) und diskutieren u.a. die in den jeweiligen Landesgesetzen unterschiedlich gestalteten Themenfelder “Arbeitspflicht der Gefangenen” und “Spannungsverhältnis von Resozialisierung und Sicherheit” (78 ff.). Insgesamt ließe sich aber festhalten, dass es infolge der Übertragung der Gesetzgebungskompetenz “nicht zu einem unkontrollierten Auseinanderlaufen der Vollzugssysteme in den Ländern gekommen ist” (82).
Den Auftakt zu Teil C (“Wirkungsorientierte Vollzugsgestaltung”) bildet ein Kapitel von Endres und Breuer, in dem sie “Behandlungsmaßnahmen und -programme im Strafvollzug” erörtern (89 ff.). Sie gehen zu Beginn der Frage nach, wie der in den Strafvollzugsgesetzen häufig verwendete Begriff der Behandlung definiert werden könnte. Sodann werden die wichtigsten Risikofaktoren aufgelistet und sechs ausgewählte Behandlungsmaßnahmen diskutiert. In der bisherigen empirischen Befundlage zeichne sich zwar ab, dass sich “die Rückfallraten um 10 bis 20% senken lassen” (104), überwiegend mangele es bei Behandlungsmaßnahmen aber an Wirkungsnachweisen. Dies sei ein “sehr unbefriedigender Zustand” (105).
Theine und Elgeti-Starke widmen sich in ihrem Beitrag dem Thema “Bildung und Qualifizierung” (109 ff.). Um den Gefangenen im digitalen Zeitalter die Rückkehr in die Gesellschaft zu erleichtern und auch eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen, komme bei schulischen bzw. beruflichen Qualifizierungen insbesondere dem “Einsatz der Neuen Medien” (118) eine besondere Bedeutung zu. Gefangene hiervon auszugrenzen, dürfe “dauerhaft nicht möglich sein” (ebd.).
Über “Sozialtherapie im Justizvollzug” schreiben Wischka und van den Boogaart (129 ff.). Nach der Föderalismusreform sei es vielfach versäumt worden, “die neue Gesetzgebung für eine Stärkung der Sozialtherapie zu nutzen” (136). Festzustellen sei, dass die Behandlungskapazitäten “deutlich zugenommen haben” (148). Die Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen habe sich in den vergangenen 20 Jahren hingegen “dramatisch verschlechtert” (146). “Insgesamt bietet die derzeitige Situation der Sozialtherapie im Justizvollzug der BRD sowohl Anlass zu Optimismus als auch zur Sorge” (152).
Mit der “Opferorientierung im Justizvollzug” beschäftigen sich Jesse, Jacob und Prätor (159 ff.). Opferorientierung bedeute mehr als das bloße Verhindern künftiger Straftaten. Vielmehr gehe es auch darum, “die Einsicht der Gefangenen in das Unrecht ihrer Straftaten und die Bereitschaft, für deren Folgen einzustehen” zu wecken und zu fördern (159). Geeignete Ansatzpunkte, die Belange der Opfer und die Verantwortungsübernahme der Täter zu verbinden, sehen sie in den Ansätzen der sog. Restorative Justice. Am Beispiel der Täter-Opfer-Begegnungen im Strafvollzug werden auch internationale empirische Befunde und Erfahrungen vorgestellt (162 ff.).
Über “die längst überfällige Familienorientierung im Strafvollzug” (175 ff.) informieren Sandmann und Knapp, wobei sich ihre Darstellung hauptsächlich auf die Situation im Männervollzug bezieht. Dort stelle die Umsetzung familienorientierter Konzepte und Maßnahmen “durchaus ein Novum in der Vollzugslandschaft” dar (175). Sandmann/Knapp betonen, dass nur im Landesstrafvollzugsgesetz Schleswig-Holsteins die Familienorientierung gesetzlich normiert sei (181).
In “Gewalt und Subkultur” (195 ff.) stellen Neubacher und Boxberg u.a. die wesentlichen Ergebnisse ihres Kölner Forschungsprojektes vor, in dessen Fokus die unterschiedlichen Formen von Gewalt unter Jugendstrafgefangenen stand (200). Physische und psychische Gewalt sei im Jugendstrafvollzug zwar alltäglich, werde aber nicht auch ebenso häufig in eigener Person erlitten (201). Es lasse sich nachweisen, “dass eine über die Zeit zunehmende Gewalt der Gefangenen auf eine intraprisonäre Viktimisierung zu einem früheren Zeitpunkt zurückzuführen ist” (ebd.). Außerdem komme auch dem “lokalen ‘Anstaltsklima'” Bedeutung zu (205).
In “Soziale Sicherheit im Alltag des deutschen Strafvollzuges – ein Auslaufmodell?” (217 ff.) weist Radetzki darauf hin, dass technische Modernisierungen und Personaleinsparmaßnahmen zu immer weniger direkten Kontakten führen (223 f.). Der Alltag in den Anstalten werde “zunehmend durch Unpersönlichkeit geprägt” (224). Weil direkte Ansprechpersonen für Gefangene nur noch eingeschränkt zur Verfügung stehen, sei erkennbar, “dass mit dem Einzug erhöhter technischer Sicherheit die soziale Sicherheit immer stärker gefährdet wird” (236). Auch Radetzki verweist auf die Bedeutung des Anstaltsklimas (233): Nur wenn dieses stimme, könne auch die soziale Sicherheit an Raum gewinnen.
Den Abschluss in Teil C bildet “Klima im Justizvollzug” von Guéridon und Suhling. Der Begriff des Anstaltsklimas werde zwar uneinheitlich definiert, umfasse in seinen allgemeinen Ausprägungen aber Bedienstete wie Inhaftierte und könne “gewissermaßen als ein universeller Faktor für das Gelingen – oder Scheitern – einer Justizvollzugseinrichtung gesehen werden” (251). Vor dem Hintergrund seiner Tragweite “ist zu hoffen, dass das Klima in Zukunft häufiger Ziel geplanter, strukturierter und evidenzbasierter Maßnahmen ist” (258).
Die mit 46 Seiten umfassendste Arbeit des Sammelbandes legen Walkenhorst und Fehrmann mit “Jugendarrest, Jugendstrafvollzug und Jugenduntersuchungshaft: Grundlegungen – Wirkungen – Perspektiven” vor (265 ff.). Einen Schwerpunkt bildet der Themenkomplex der (Neben-)Wirkungen von erzieherischem bzw. pädagogischem Handeln im Vollzug. Hierzu werden u.a. auch Ergebnisse und Grenzen der Wirkungsforschung dargestellt (286 ff.). Außerdem wird der Frage nachgegangen, ob “Jugendarrest und Jugendstrafvollzug als ‘lernende Organisationen'” (297) gelten können. Beim “Transfer von Innovations- und Change-Management-Konzepten der Wirtschaft” (300) sei Zurückhaltung geboten. Der Strafvollzug funktioniere “nach anderen Regeln als ein Wirtschaftsbetrieb” (ebd.).
In Teil D findet sich unter dem Titel “Kurze Freiheitsstrafen und Ersatzfreiheitsstrafen als Herausforderung an den Strafvollzug – Möglichkeiten und Grenzen” (313 ff.) außerdem ein Beitrag von Treig und Pruin. Durch empirische Forschung sei nachgewiesen, dass die Betroffenen in der Regel “multiple Problemlagen” (338) aufweisen. “Ernsthafte Resozialisierungsmaßnahmen” (325) seien während einer so kurzen Haftzeit ohnehin kaum möglich. Es könne nur weiterhin gefordert werden, dass diese Strafen “abgeschafft oder zumindest noch weiter zurückgedrängt werden sollten” (339).
Über “lebenslange Freiheitsstrafen” schreibt Dessecker (351 ff.), wobei er die Diskussion um “die gelegentlich erhobene Forderung nach Abschaffung” selbiger in seinen Ausführungen explizit ausklammert (356). Die “schwerste Sanktion des Kriminalrechts” (351) solle zukünftig auch mehr Gegenstand spezifischer Forschung sein (360).
Bartsch widmet sich dem Thema “Sicherungsverwahrung und Strafvollzug bei Gefangenen mit vorgemerkter Sicherungsverwahrung” (363 ff.). Dass die zukünftige Gefährlichkeit des Täters nicht mit hinreichender Sicherheit prognostiziert werden könne, sei “einer der neuralgischen Punkte dieser Maßregel” (363). Seitdem das Bundesverfassungsgericht den Vollzug der Sicherungsverwahrung im Jahr 2011 einer erneuten Prüfung unterzogen habe, befinde dieser sich “aktuell in einem grundlegenden Veränderungs- und wohl auch (Um-)Lernprozess” (365). Derzeit seien aber noch keine ausreichenden empirischen Erkenntnisse über die durchgeführten Veränderungen und deren Wirkungen vorhanden (375).
“Straffällig gewordene Frauen” lautet die Überschrift zu Michels‘ Aufsatz (381 ff.). Das Zentrum ihrer Ausführungen bilden “Forderungen an eine frauenspezifische Komplexleistung Resozialisierung” (388 ff.). Diese müsse “auf die besonderen Problemlagen ausgerichtet sein, auf die Stärkung der Autonomie zielen und Frauen als Subjekte anerkennen” (388). Für die Erforschung der Situation inhaftierter Frauen biete sich aufgrund der kleinen Gruppengröße ein qualitatives Vorgehen an (397 f.).
Mit der weltweit “am schnellsten wachsenden Insassengruppe” (403) beschäftigt sich Meuschke in “Der Lebensabend im Gefängnis” (403 ff.). Allein im Bundesdurchschnitt seien mittlerweile 4,0 % aller Gefangenen über 60 Jahre alt. In vier Kategorien unterteilt, benennt er aufgrund der Ergebnisse einer im österreichischen Justizvollzug durchgeführten Studie “die für die Unterbringung der Inhaftierten im Seniorenalter entscheidenden Aspekte” (419 f.).
Der “erschwerte Zugang zu adäquaten Behandlungsangeboten und dessen Folgen” sowie der “problembehaftete Umgang mit Substitutionsbehandlungen in Haft” (425) stellen die beiden Probleme dar, mit denen Häßler und Maiwald sich in ihrem Beitrag zu drogenabhängigen Inhaftierten befassen (423 ff.). Gefangene sollten idealerweise “als Experten ihrer Sucht ernst genommen werden” (436).
Abraham beendet Teil D mit seinem Kapitel über “ausländische Gefangene” (443 ff.). Ihre Zahl steige trotz insgesamt sinkender Gefangenenzahlen in den Bundesländern in den vergangenen Jahren (444). Im Abschnitt “aktuelle Herausforderungen” geht er u.a. kurz auf den Umgang mit radikalem Islamismus in den Justizvollzugsanstalten ein (450 f.).
“Eine Justizvollzugsanstalt als lernende Organisation” (457 ff.) von Koop ist das erste von zwei Kapiteln in Teil E (“Strategische Steuerung”). Mit seinem ausführlichen Bericht über die von ihm seit 1991 beispielhaft weiterentwickelte JVA Oldenburg wolle er v.a. deutlich machen, “wie sehr die Rahmenbedingungen in einer Justizvollzugsanstalt, klare Führungs- und Kommunikationsstrukturen und ein definiertes Menschenbild den Umgang mit den Gefangenen und dem Personal beeinflussen können” (476).
Steinhilper und Papies haben “gute Erfahrungen mit Managementinstrumenten der Wirtschaft gemacht” (481). Da es heute vor allem darum gehe, wie geeignetes Personal gewonnen und gehalten werden könne, erläutern sie in ihrem Beitrag “Strategische Personalentwicklung im Justizvollzug” (479 ff.) ausführlich, wie eng diese in Zusammenhang zur Organisationsentwicklung stehe: “Wer beide Entwicklungen zu steuern vermag, handelt strategisch und trägt entscheidend zum Erfolg des Unternehmens ‘Justizvollzug’ bei” (496).
Im einleitenden Kapitel zu Teil F (“Entwicklung des Systems der stationären und ambulanten Resozialisierung”) konstatiert Wirth, dass das in den letzten Jahren gestiegene Interesse an einem strukturierten Übergangsmanagement auch auf “der Einsicht in die begrenzten Wirkungsmöglichkeiten des Strafvollzuges” basiere (501). Inwieweit es tatsächlich nachhaltig die erwarteten Resozialisierungswirkungen verbessere, könne aber noch nicht beurteilt werden (503). Außerdem diskutiert er in “Steuerung und Erfolgskontrolle im Übergangsmanagement” ausführlich diverse Ergebnisse zur “Gemeinschaftsinitiative B5” (511 ff.).
Der zukünftige Weg der Sozialarbeit in der Justiz sei alles andere als unumstritten, meint Klug in seinem Kapitel “Soziale Dienste der Justiz – Traditionen und aktuelle Diskurse” (523 ff.). Für die Weiterentwicklung der Sozialen Dienste der Justiz, wozu insbesondere Bewährungshilfe, Führungsaufsicht und Gerichtshilfe gehören, stellt er ausführlich fünf Leitgedanken vor (541 ff.).
Roggenthin betont in seinem Beitrag “Freie Straffälligenhilfe – Probleme und Perspektiven angemessener Wirkungsforschung” (549 ff.), dass deren Bedeutung und Potenzial von politischen Entscheidungsträgern wohl unterschätzt werde. Die Freie Straffälligenhilfe sitze “seit jeher am Katzentisch der öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Finanzierung” (549). Für die als notwendig erachtete Wirkungsforschung schlägt er ein qualitatives Forschungsdesign vor (562 f.).
In dem von Sandmann und Kilian-Georgus vorgelegten “Faktencheck ambulante und stationäre Resozialisierung in Schleswig-Holstein” (567 ff.) gehe es “(noch) nicht um die erzielte Wirkung der Programme und Maßnahmen” (567). Die auch in diversen tabellarischen Übersichten aufbereiteten Daten ermöglichen aber u.a. einen detaillierten Einblick in die hierfür aufgewendeten finanziellen Mittel.
“Ist Resozialisierung eine exklusive Aufgabe des Strafvollzuges?” fragen Jesse, Werner und Kramp (579 ff.). Der Erfolg entsprechender Bemühungen hänge nicht nur von der Arbeit der Justizvollzugsanstalten ab. Vielmehr handele es sich um “eine weit über den Strafvollzug hinausgehende Aufgabe” (580). Überfällig sei außerdem “ein kollektiver Lernprozess mit dem Ziel einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortungsübernahme für die Aufgaben der Resozialisierung und Straftatvermeidung” (582). Der letzte Beitrag schließt mit Beispielen einer verbesserten bzw. ausgeweiteten Zusammenarbeit aus dem europäischen Ausland.
D. Beurteilung und abschließendes Fazit
Die Beiträge decken auf informative und abwechslungsreiche Weise eine ganze Bandbreite an relevanten Themenfeldern ab. Sie sind kritisch, aber stets lösungsorientiert geschrieben und – abgesehen vom Faktencheck aus Schleswig-Holstein – mit reichlich weiterführender, auch englischsprachiger Literatur, versehen. Die von Maelicke in seinem Kapitel zu Recht betonte Notwendigkeit, das “Gesamtsystem ambulanter und stationärer Resozialisierung” (18) zu optimieren und die erfolgreiche Wiedereingliederung Haftentlassener auch als gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrzunehmen, wird von einigen Autor*innen aufgegriffen und aus ihrer jeweiligen Perspektive näher erläutert (z.B. 123 f., 192, 303, 504 ff., 586). Aktuelle Herausforderungen wie Radikalisierung in Haft und das von Seiten des Vollzugsstabs größer werdende Erfordernis interkultureller Kompetenz werden zumindest gestreift. Dies hätte gern ausführlicher dargestellt werden dürfen. Im Zeitalter einer rasant voranschreitenden Digitalisierung sind die Kapitel von Theine/Elgeti-Starke zur Bildung und Qualifizierung (junger) Inhaftierter sowie von Meuschke zur Haftsituation alter Gefangener positiv aufgefallen. Jeweils zielgruppenbezogen wird dort explizit die Bedeutung der Neuen Medien für eine gelingende gesellschaftliche Reintegration hervorgehoben (118, 415). Auch wenn der Fokus der Ausarbeitung überwiegend auf der Darstellung des Ist-Zustands liegt, gefällt die Idee sehr gut, dabei theoretische Erörterungen mit bereits existierenden Arbeitsmethoden und Projektbeispielen zu verknüpfen und die zukünftige Entwicklung durch konstruktive Verbesserungsvorschläge voranzutreiben. Nur ganz vereinzelt finden sich Aufsätze, die aufgrund ihrer inhaltlichen Komplexität vom Lesenden erarbeitet werden möchten. Dem Verständnis dienlich sind die insgesamt 33 Abbildungen und diversen tabellarischen Übersichten, die abstraktere Inhalte visuell aufbereiten. Grammatikalische und orthografische Fehler, die nur in sehr wenigen Beiträgen vermehrt aufzufinden sind, können den positiven Eindruck nicht schmälern.
Versteht man den Begriff “Prüfstand” im Buchtitel dahingehend, dass das Gefängnis auf seine weitere Notwendigkeit überprüft wird, dann offenbart die Publikation in Bezug auf einzelne Teilgruppen der Haftpopulation den einzigen inhaltlichen Kritikpunkt. So betont Koop, als (damaliger) Leiter der JVA Oldenburg, dass immer mehr Menschen aufgenommen werden, die seiner Ansicht nach “gar nicht in den Strafvollzug gehören” (460) und bezieht sich dabei auf psychisch schwer(st) erkrankte Personen. Auch Ersatzfreiheitsstrafler seien “kaum beeinflussbar, geschweige denn behandelbar” (ebd.; ähnlich auch Treig/Pruin: 325, 338 f.). Vor dem Hintergrund einer wirkungsorientierten und v.a. ressourcenschonenderen Vollzugsgestaltung hätte man den beiden genannten Gruppen sowie den schwer suchtmittelabhängigen Gefangenen einen gesonderten (Unter-) Abschnitt widmen und in getrennten Beiträgen, insbesondere auch alternativ geeignete (ambulante) Sanktionen, diskutieren können. Ansätze diesbezüglich finden sich für drogenabhängige Gefangene bei Häßler/Maiwald. Vorbildlich gelungen ist dies bereits für die Ersatzfreiheitsstrafler bei Treig/Pruin. Für einen schnelleren Eindruck über die behandelten Themen und um in den 588 Seiten gezielt nach Schlagworten suchen zu können, hätte der Sammelband außerdem um ein Stichwortverzeichnis ergänzt werden können.
“Das Gefängnis auf dem Prüfstand. Zustand und Zukunft des Strafvollzugs” liefert einen wichtigen Beitrag auf dem Weg zu einer wissenschaftlich fundierten und damit nachgewiesen wirksamen Vollzugsgestaltung. Die 27 Einzelbeiträge ermöglichen dabei einen umfassenden, abwechslungsreichen und durchaus kritischen Einblick in den Zustand und die Entwicklungspotenziale des Strafvollzugs und der ambulanten Resozialisierung. Die Lektüre ist sowohl erfahrenen Wissenschaftler*innen und (Vollzugs-)Praktiker*innen als auch dem akademischen, politischen und journalistischen Nachwuchs zu empfehlen.
Bernd Maelicke, Stefan Suhling (Hrsg.): Das Gefängnis auf dem Prüfstand. Zustand und Zukunft des Strafvollzugs. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH (Wiesbaden) 2018. XVIII + 588 Seiten. ISBN 978-3-658-20146-3. Softcover 74,99 €